Schreckgespenst Unionsbürgerrichtlinie: Alles halb so schlimm? – mit Laura Zilio

Linda - Team s+v
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18 November 2022 Temps de lecture: 3 minutes
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Laura Zilio Podcast
Die Unionsbürgerrichtlinie (UBRL) hat in den Verhandlungen ums Rahmenabkommen für hitzige Diskussionen gesorgt. Noch heute – eineinhalb Jahre später – ist das Thema nicht aus dem europapolitischen Diskurs wegzudenken. Verschiedenste Gruppen warnen vor massloser Zuwanderung, «Sozialtourismus» und einem kompletten Systemwechsel. Laura Zilio, Co-Programmleiterin beim Think Tank «foraus», hat ein wissenschaftliches Paper dazu verfasst, das Entwarnung gibt. Inwiefern? Das erzählt sie im stark+vernetzt-Podcast.

Die rechtlichen Details der UBRL sind komplex, und deren Entstehung geht weit zurück in der Geschichte der europäischen Integration. Wir erklären und rekapitulieren die wichtigsten Entwicklungen: Das Konzept der Unionsbürgerschaft wurde 1992 mit dem Vertrag von Maastricht eingeführt. Neben der nationalen Staatsangehörigkeit besitzen die Bürger und Bürgerinnen eines EU-Mitgliedstaates auch diese Unionsbürgerschaft. Wenig überraschend fusst die UBRL auf dem Konzept der Unionsbürgerschaft. Sie hat sich über die Jahre mit der Rechtsprechung bis zur heutigen Form entwickelt und wurde 2004 in einem Dokument zusammengefasst. Einfach gesagt, regelt sie die Bedingungen, unter welchen in der EU gewohnt, gearbeitet oder gereist wird. Die UBRL besagt auch, dass die EU-Bürger und -Bürgerinnen nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert werden dürfen, der sogenannte Grundsatz der Nichtdiskriminierung.

UBRL für die Schweiz, ja oder nein?

Die Schweiz als Nicht-EU-Mitglied ist von diesen Regelungen zum Reisen, Wohnen und Arbeiten nicht einfach ausgeschlossen, sie verfügt über ein eigenes Abkommen mit der EU – das Personenfreizügigkeitsabkommen (FZA), das integraler Bestandteil der Bilateralen Verträge I ist. Auch dieses Abkommen kennt ein allgemeines Verbot der Diskriminierung von EU- oder Schweizer Bürgerinnen und Bürgern. Der Grundsatz im FZA geht aber nicht so weit wie derjenige in der UBRL. Den EU-Bürger und -Bürgerinnen werden mit der UBRL also mehr Rechte eingeräumt , was beispielsweise die Sozialhilfe in der EU betrifft. Und hier liegt der Hund begraben.

In den Verhandlungen zum Rahmenabkommen, die der Bundesrat im Mai 2021 abgebrochen hat, war die UBRL einer der Stolpersteine. Während die EU-Kommission der Auffassung ist, dass die Richtlinie eine Weiterentwicklung der Personenfreizügigkeit ist und deswegen von der Schweiz übernommen werden muss, ist man hierzulande der Ansicht, dass die Schweiz als Nicht-EU-Mitglied keine Bestimmungen zu übernehmen hat, die auf dem Konzept der Unionsbürgerschaft basieren. Die beiden Europarechtlerinnen, Laura Zilio und Idris Abdelkhalek, kommen im foraus-Paper zum Schluss, dass diese Bestimmungen in der Tat nicht übernommen werden müssten, da es sich bei der Schweiz um einen Drittstaat und nicht um ein EU-Mitglied handelt.

Alles halb so schlimm

Die beiden halten aber auch fest, dass weitergehende Rechte der Personenfreizügigkeit für EU-Bürger und -Bürgerinnen in der Schweiz nicht zu fürchten sind. Denn auch die UBRL und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) schränken das Recht auf Sozialhilfe oder Aufenthalt ein. Sollte die Schweiz also doch Bestimmungen der UBRL in das FZA aufnehmen, ist nicht mit ungehinderter Zuwanderung oder «Sozialtourismus» zu rechnen.

Wie weiter?

Im Podcast zeigt Zilio verschiedene Szenarien auf, wie mit dem Streitpunkt rund um die UBRL umgegangen werden kann und nimmt dabei Bezug auf die drei besonders kontrovers diskutierten Punkte, darunter den Anspruch auf Sozialhilfe. Die Juristin ist sich bewusst, dass nicht nur die rechtliche, sondern auch die politische Lage berücksichtigt werden muss. Umso mehr plädiert sie dafür, dass die Schweiz ihren Spielraum nutzt und nicht verbissen auf ihrer Position verharrt.

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